Fronleichnam

(neues rheinland, 1973)

Nicht nur den Rosenmontagszug haben die Kölner erfunden, sondern auch die Fronleichnamsprozession: Es ist jetzt mehr als 700 Jahre her, dass zum ersten Mal Gläubige durch Strassen und Gassen schritten, um das Altarssakrament zu verehren. Um 1209 hatte die noch nicht zwanzigjährige Juliana von Lüttich, die mit fünf Jahren in das Kloster Kornelienberg (Mont Cornillon) eingetreten war, ihre ersten Visionen: Sie sah auf der hellen Scheibe des Mondes eine dunkle Stelle. Der Mond, der ihr für die Kirche stand, signalisierte mit dem Makel einen Missstand: Es gab noch kein Kirchenfest eigens für die Eucharistie. Ein solches Zeichen war damals nötig: Berengar von Tours (gest. 1088) hatte wiederholt die Wesensverwandlung Jesu Christi in Wein und Brot, die reale Gegenwart des Herrenleibes, geleugnet - und zum Verdruss der offiziellen Kirche zahlreiche Anhänger gefunden.

Um die Ketzer zu widerlegen und um Sühne für die Vernachlässigung der Eucharistie zu leisten, ordnete daher 1246 Bischof Robert von Lüttich ein solches Fest an; 1264 wurde es durch die Bulle »Transiturus« von Papst Urban IV. für den ganzen Erdkreis als verbindlich erklärt. In den deutschen Landen erhielt es seinen Namen nach den beiden Worten »fron« (Herr) und »lichnam« (lebendiger Leib). Nur wenige Jahre später - um 1275, meinen Kirchenhistoriker - ging die erste Fronleichnamsprozession, und zwar im Bezirk der Stiftsimmunität St. Gereon in Köln.
In der äusseren Gestaltung knüpfte die Prozession in Deutschland an mehrere Vorbilder an: Der feierliche Einzug in die Kirche am Palmsonntag, die übertragung von Reliquien, aber auch Flurumgänge zur Frühlingszeit, um das Wetter zu segnen und gute Ernten zu erbitten, haben diese Prozession mitgeprägt. In ihrer Blütezeit trugen die einzelnen Zünfte grosse Bilder, die Ereignisse aus der Passionsgeschichte, oft auch aus dem Alten Testament, zeigten. Als letzte vor dem Baldachin, unter dem seit dem 14. Jahrhundert das Allerheiligste mitgetragen wurde, schritten oft die Müller und Bäcker. An vier Haltepunkten wurden die vier Evangelienanfänge in die vier Windrichtungen gesungen. Schützenbrüder prägten später das Bild des streng geordneten Zuges mit Vorbetern, Zweierreihen, getrennten Geschlechtern.
Zu Zeiten des Kulturkampfes und der Nazi-Herrschaft war die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession ein stummes Zeichen des Protestes, ein selbstgeschaffener Freiraum, den die staatliche Gewalt nicht anzutasten wagte, so sehr ihr die Umzüge auch zuwider waren.

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