Geburtstag eines Symbols

("neues rheinland", 1973)

woensam
Abb. 1: Ausschnitt aus Woensam (1531), mit dem berühmten Baukran auf dem Südturm des Domes
dom köln
Abb. 2: Photo des Südturms (ca. 1870)

Vor 125 Jahren, im Revolutionsjahr 1848, feierte der Kölner Dom den 600. Jahrestag seiner Grundsteinlegung. Um den noch immer halbfertigen Dom versammelten sich der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. und der frischgekürte Reichsverweser, Erzherzog Johann, mit vielen Kölnern zu würdevollem Feiern und vaterländischen Ansprachen.

Mitten in das Revolutionsjahr 1848 fiel für Köln ein wichtiges Ereignis, das heute 125 Jahre zurückliegt: Der Dom, seit Jahrhunderten eine Neubauruine, feierte den 600. Jahrestag der Grundsteinlegung.

Zwischen seinen halbfertigen Mauern trafen sich beim Dombaufest zwei Schlüsselfiguren in den Vorstellungen und Wünschen deutscher Bürger: Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen und Protektor des Domes, und Erzherzog Johann, der Reichsverweser von Paulskirchens Gnaden. Der schwarzweiße Hohenzoller galt als Verkörperung des überholten Feudalismus, aber auch als Monarch des zukunftsreichsten deutschen Teilstaates, der schwarz-rot-goldene Habsburger als Symbol eines irgendwie geeinigten, bürgerlichen Deutschland. Den Dom sah man als „das Symbol des großen Vaterlandes", das in der Paulskirche zu Frankfurt gebaut werden sollte. Vor 125 Jahren feierte der immer noch unfertige Dom seinen Geburtstag — und mit ihm feierten viele Kölner.

„Symbol der bürgerlichen Einheit"

„Ein Kölner ist mit seinem alten holprigen Köln so liebend verwachsen wie ein Großvater mit seinem Schlafrock. Ein Kölner ist ganz unglücklich, wenn er nicht außer seinem Karneval jedes Jahr wenigstens zwei oder drei recht gründliche Feste in seinen Mauern feiert." So arg ging Georg Weerth, Feuilletonchef bei Karl Marxens „Neuer Rheinischer Zeitung", mit seinen Mitbürgern ins Gericht, als sie die zu dem Jubeltag erschienenen Gäste unterschiedslos feierten. Uns erscheint es heute verzeihlich: Immerhin hatte der Preußenkönig am 4. September 1842 unter dem westlichen Pfeiler den Grundstein zum Weiterbau des Domes gelegt. Auf der in eine Zinnplatte eingravierten lateinischen Urkunde hat sich Friedrich Wilhelm IV. „Protektor dieses bedeutenden Unterfangens ganz Germaniens" nennen lassen; der Dom sollte „Symbol der brüderlichen Einheit sein". Der König hatte außerdem in einer Cabinets-Ordre vom 12. Januar 1842 einen jährlichen Baufonds von 50.000 Talern gestiftet und im Mai 1842 sogar einen einmaligen Zuschuß von 100.000 Talern für den Fortbau des Nordturmes bewilligt.

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Abb. 3: Die Südseite am 4.9.1842, mit der Fahne "Protectori" (dem Beschützer)

Das war gut sechs Jahre vor dem Dombaufest; im März 1848 war Friedrich Wilhelm in arge Bedrängnis geraten: Republikaner und Demokraten hatten in Berlin — und auch in anderen deutschen Großstädten — mit Muskete und Barrikaden politische Freiheiten, eine Amnestie, Gleichheit und eine Volksvertretung verlangt; der König war nach blutigen Straßenschlachten von den Barrikadenkämpfern immerhin gezwungen worden, mit der verängstigten Königin auf den Balkon des Berliner Schlosses zu treten und sein Haupt vor den Leichen der gefallenen Märzkämpfer zu entblößen. Das von den Revolutionären Geforderte war teilweise zugesagt worden. Inzwischen war aber der Preußenkönig wieder auf die Beine gekommen. Bei seiner Ankunft in Köln eröffnete er den anwesenden Vertretern der Paulskirche, die Einheit Deutschlands liege ihm am Herzen; im übrigen aber: „Ich bin überzeugt, daß Sie nicht vergessen werden, daß es in Deutschland Fürsten gibt und ich zu diesen gehöre!" Punktum.

„Politische Töne nicht zu verhindern"

Der Entschluß des Dombau-Vereins, nach der Wahl des Erzherzogs Johann zum Reichsverweser „dem Feste neben dem kirchlichen auch einen politischen Charakter zu geben und dasselbe zu einer freudigen Inauguration der Wiedergeburt Deutschlands zu gestalten", wie der Chronist zur Vollendung des Domes vermerkt, war weise: Politische Töne wären ohnehin nicht zu verhindern gewesen.

Das begann schon bei der Ankunft des Reichsverwesers am Abend des 13. August 1848: Den Kölnern, die ihm am Rheinufer begeistert zujubeln, ruft er zu: „Wir wollen Gott den Herrn bitten, daß er uns die Kraft dazu verleihe, daß nur Alle mit gleichem Eifer und thatkräftiger Ausdauer daran arbeiten, daß felsenfest, wie Ihr Dom, erstehe ein einiges, ein großes, ein glückliches Deutschland!"

WWährend der Erzherzog durch ein Spalier der Bürgerwehr schreitet, notiert der Zeitungschronist: „Wir hörten eine Bürgersfrau voll staunender Überraschung ausrufen: Nun, seht doch, ein schlichter Bürgersmann! Ein vielbedeutsames Wort, denn nur dann erst wird Deutschland groß und glücklich sein, wenn seine Fürsten ihren höchsten Bürgerschmuck im schlichten Bürgerkleide finden." Im Hause des Kommandanten der Bürgerwehr, von Wittgenstein, nimmt der Reichsverweser Quartier. Am späten Abend bringen ihm die Kölner trotz Regens einen Fackelzug, und eine Serenade ruft ihn auf den Balkon. Am nächsten Morgen konnte man folgende Annonce in der „Kölnischen Zeitung" finden: „Schönes Porträt des Reichsverwesers, auf chinesisch. Papier, 7 ½ Sgr., auf weiß. Papier 5 Sgr., bei G. Tonger, Pauluswache."

1848 1848 Anzeigen in der "Kölnischen Zeitung"

„Gefühlvolle Hymnen auf den Reichsverweser"

In einem anderen Journal, der „Zeitung es Arbeiter-Vereines zu Köln", wurden an diesem Tage die „Festgedanken" eines ungenannten Autors verbreitet; das waren die Kölner von dem „Arbeiter-Verein", der sich zu dieser Zeit bereits intensiv mit Marx' und Engels' „Kommunistischem Manifest" schulte, nicht gewohnt: „Du wirst, unser theures Vaterland, deine verborgenen und vernachlässigten Schätze öffnen und deine Kinder am sorglichen Mutterbusen ihre langjährigen Leiden vergessen machen; eine Ströme werden sich wieder mit bunt bewimpelten Schiffen beleben, eine Weine werden Frohsinn und Heiterkeit weithinaus in alle Welt tragen, dein Handel wird emporblühen, deine Werkstätten werden arbeiten, deine Arbeiter, die besten der Welt, werden ihren alten Ruhm wieder erwerben, und deutsche Lieder werden wieder von ihren zufriedenen Lippen erschallen, wenn sie in des Feierns Ruhe das treue Weib und die blauäugigen Kinder satt und nicht mehr von des Hungers Grauen gedrückt an ihre männliche, deutsche Brust drücken."

Solche Passagen und ähnlich gefühlvolle Hymnen auf den Reichsverweser und den im Arbeiterverein allgemein verhaßten preußischen König blieben nicht ohne Folgen: In der „Comite-Sitzung" vom 14. August abends liest der stellvertretende Präsident den fraglichen Artikel vor und beleuchtet einige Sätze desselben. Bürger Mertens protestiert gleichfalls gegen den fraglichen Artikel. Sämtliche anwesenden Mitglieder verwerfen den Artikel als mit den Grundsätzen der Gesellschaft nicht übereinstimmend.

Doch durch derlei Querelen läßt sich das Fest nicht aufhalten. Der Reichsverweser nimmt am Morgen des 14. August an einer „musicalischen Morgen-Unterhaltung" des Männer-Gesangvereins im großen Saal des Casino teil, wobei auch Jacques Offenbach eine selbstkomponierte Tarantella auf dem Cello vorträgt.

Am Mittag geht der große Festzug vom Neumarkt aus zum Westportal des Domes: Voran eine berittene Abteilung Bürgerwehr, gefolgt von dem Männergesangverein „Liedertafel" und den „Sängerchören der beiden Gymnasien und der höheren Bürgerschule", auch 500 Waisenkinder fehlen nicht. Den Mittelpunkt bilden die Handwerker der Dombauhütte. Als der Zug am Dom ankommt, flattert von dem südlichen Turm eine riesige Fahne: „Protectori", dem Förderer Friedrich Wilhelm ist dieser Spruch zugedacht. Unter schwarz-rotgoldenen Fahnen hält der Vorsitzende der Freunde und Förderer des Domes, Everhard von Groote, eine politische Rede: „Der deutsche Dombau ist eine Nationalsache geworden und wird es, so Gott will, bleiben!" Und so mancher national fühlende Kölner wird im Herzen hinzu gesetzt haben: Falls die Radikalen uns lassen.

So ruft denn auch Groote zum Schwur: „Wir sollten den Schwur erneuern, dieses heilige Sinnbild deutscher Tüchtigkeit und Glaubenstreue gleichzeitig mit dem Bau des deutschen Verfassungs-Werkes zu vollenden. Einigkeit macht uns stark, dies sei unser Wahlspruch!" Am Abend geht es weiter: König Friedrich Wilhelm IV., mit gehörigem zeitlichen Abstand vom Reichsverweser, betritt den Boden der ehemals reichsfreien Stadt Köln — einigermaßen erleichtert. Denn bei seiner Durchfahrt durch Düsseldorf hatten Bürger und Soldaten aufeinander geschossen, zwei Soldaten waren getötet worden, auf beiden Seiten gab es mehrere Verletzte. Die einzigen Schüsse in Köln sind Böllerschüsse, die von Deutz das Nahen des Königs künden. Oberbürgermeister Steinberger begrüßt „feierlichst, ehrerbietigst und in treuer Gesinnung" den Monarchen als einen „großmütigen Beschützer, Erhalter und Förderer des erhabenen Gotteshauses" und bringt ein dreifaches „Hoch dem König-Protector!" aus. Friedrich Wilhelm dankt knapp, nimmt vom Balkon des Regierungsgebäudes im Regen einen Fackelzug ab und fährt dann spät in der Nacht mit einem Sonderzug zum Brühler Schloß, wo er übernachtet.

„Die große kölnische Domfarce"

Der nächste Tag ist der eigentliche Festtag. Wiederum sammelt sich Köln auf dem Neumarkt zu einem zweiten Festzug: Diesmal die Honoratioren von der Polizei, der Post, den Banken, das „Pompier-Corps" der Feuerwehr und sogar die evangelische Pfarrgeistlichkeit und der „Vorstand der israelitischen Gemeinde".

Ungefähr 10 000 Menschen haben sich in den Dommauern versammelt, um an der Einsegnung des bisher Erreichten teilzunehmen. Die Haydnsche Messe, aromatische Rauchwölkchen und die Fahnen brausen und wehen über die Gläubigen. „Dieses Haus sei ein Haus des Gottesfriedens, ein Haus des Menschenfriedens!" So läßt der Erzbischof seine Rede ausklingen. Die Gläubigen singen das Te Deum, die Orgel braust, „die Glocken sangen Gottes Lob weit über die frohlockende Stadt hin, und der Donner der draußen aufgepflanzten Geschütze drang in die Hallen und brach sich an den Riesensäulen der neugeweihten Kathedrale." Beim Festbankett des Dombauvereins am Nachmittag treffen wir auch unseren Freund und Kritikus Georg Weerth wieder. Er hat sich, weil er den Dom und den Heringssalat liebte, eine Karte für das Festbankett im Gürzenich besorgt und sitzt nun da. „Oh, wie hatte sich alles geändert! In demselben Saale, in dem ich früher nur der heiligen Stadt Köln vortrefflichste Narren in buntem Gemisch durcheinanderwogen sah, in demselben Freudensaale erblickte ich jetzt an unendlich langen Tischen, ach Gott, der Politik geweihte Köpfe, und mitten unter ihnen nichts als kohlschwarze Pastöre, Geheimräte, Kaufleute und andere nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft — ich glaubte weinen zu müssen." Zu dem Magen- kommt natürlich auch ein Ohrenschmaus: Für die Freunde des Domes Rhein- und Weinlieder, und für den Preußenkönig das Festlied des Dombauvereins nach der Weise vom Siegerkranz:

Salve Protectori!
Huldvollen Blickes sieh
auf unsern Bund,
der stolz des Königs Wort:
„Ich bin des Domes Hort!"
Dir lobsingt fort und fort
mit Herz und Mund.

Bei so viel Loyalität und rechter Gesinnung mußte Friedrich Wilhelm das Herz höher schlagen: Mit der Linken Ruhe gebietend und jetzt die Rechte mit gefülltem Römer erhebend gibt er einen begeisternden Toast aus auf den Reichsverweser und die Mitglieder der Frankfurter Paulskirche, die ihm im Frühjahr 1849 dann vergeblich die deutsche Kaiserkrone andienen sollen. Die Festgäste fragen sich mit Ernst Moritz Arndt: „Was ist des Deutschen Vaterland?" und hören noch den Trinkspruch des demokratischen Deputierten Franz Raveaux, der all seine Vorredner von der brüderlichen Gemeinschaft beim Wort nehmen wollte — dann ist alles vorbei.

Auch Georg Weerth ging heim: „Vorüber war die große kölnische Domfarce, bei der all die hohen Herren mit den schönsten Phrasen im Munde, aber den Groll im Herzen, unter dem Jubel des törichten Volkes all die feinen Pläne ersannen, welche bald in den standrechtlichen Erschießungen Wiens, in der Oktroyierung der preußischen und österreichischen Verfassung und in dem Lächerlichwerden der Frankfurter Versammlung so vortreffliche Früchte tragen sollten."

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Abb. 4: Die Dombaustelle um 1851

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