August Macke Haus: Der Garten Eden liegt in Endenich

Von Thomas Kliemann

Wie wohl das Paradies aussah? Der unbeschwerte Rheinländer August Macke wusste das. Und er wusste auch, wo es lag: in Endenich. Zumindest verortet Klara Drenker-Nagels, Direktorin des August Macke Hauses, dort ein farbprächtiges Gemälde, das 1911 entstand und eine Frau im Garten zeigt, umringt von Kohlköpfen und Blumen.

Eine bönnsche Idylle, wie man sie nur hier finden könne. Macke bezieht sich in seinem Gemälde auf ein seit der mittelalterlichen Buchmalerei geläufiges Thema der Kunst, das des geschlossenen Gartens, Hortus conclusus oder auch Paradiesgärtlein genannt. Macke hat dieses Thema, das zur Marienverehrung gehört und auch eng mit der Paradiesvorstellung der biblischen Genesis verbunden ist, ins Weltliche gewendet. Mackes Durchdringung von Farbe, Licht und Natur hat etwas in der Tat zutiefst Diesseitig-paradiesisches.Die "Frau im Garten" von 1911 nimmt in der grandiosen Ausstellung "Das (verlorene) Paradies. Expressionistische Visionen zwischen Tradition und Moderne", die gestern Abend im August Macke Haus eröffnet wurde, eine wichtige Stellung ein. Zum einen, weil die "Frau im Garten" aus Privatbesitz seit 1912 nicht mehr öffentlich gezeigt wurde, zum anderen, weil sie in Mackes Dach-Atelier den Gegenpol zum märchenhaften, exotischen Paradiesbild bildet, das Macke und sein Freund Franz Marc Ende 1912 an die Wand malten. Das Original wurde 1980 nach Münster gegeben, darf aus restauratorischen nicht mehr reisen. Die 1:1-Reproduktion in Bonn bietet einen ungenügenden Ersatz. Das Macke Haus hat nun einen anderen, sehr originellen Weg gefunden, diesem Thema zu begegnen.Wer in das Paradiesbild von Marc und Macke tiefer einsteigen will, dem sei das ausgezeichnete Paradies-Kapitel in der Künstlerfreunde-Schau mit verwandten Arbeiten im Kunstmuseum empfohlen. Dort hängt auch die bessere Reproduktion.Die Kuratorinnen Beate Marks-Hanßen und Judith Graefe fragen im Macke Haus danach, warum das Thema Paradies in der frühen Moderne so attraktiv für Maler war und welche Wandlung dieses Motiv von der unmittelbaren Vorkriegszeit bis hinein in die Jahre nach 1918 nahm. Exzellent ausgesuchte Werke zeigen, wie sich eine bibeltreue Deutung des Paradies-Stoffes mit Gedanken der Reformbewegung kreuzte, die die Einheit mit der Natur, ursprüngliche Nacktheit propagierte und damit auf Prozesse der Industrialisierung reagierte. Die Brücke-Künstler - Heckel, Pechstein und Kirchner - frönten dieser Freikörperkultur mit Badenden und sinnlichen Akten, auch Macke hat sich dem Thema zugewandt. Schon sehr früh zeichnet er in einem Brief ein sich umarmendes, nacktes Paar. Im Text erfahren wir, dass es sich um "Adam und Eva, das Paradies verlassend" (1905) handelt. Eine kühne, ganz und gar unbiblische Deutung: Denn da ist kein wutschnaubender Erzengel, der das sündhafte Paar aus dem Garten Eden scheucht. Vielmehr gehen die Beiden bei Macke einer durchaus angenehmen Zukunft entgegen. Alles andere hätte Mackes Naturell widersprochen.Obwohl: 1913 zeichnete Macke den "Weltuntergang", ein sehr untypisches Bild, das Elisabeth Macke dann stickte! Ein wildes, dynamisches Drunter und Drüber von Figuren und Formen. Schöpfungsakt und Katastrophe liegen hier ganz nah beieinander. Wie in Campendonks wunderbarem kubistisch gemaltem Schöpfungsdrama "Der sechste Tag" (1914) oder dem drastischen Apokalypse-Zyklus, in dem Josef Weiß 1919 den biblischen Bericht des Johannes mit eigenen erschütternden Kriegserlebnissen verknüpfte. Im Abstand von nur wenigen Jahren finden wir die elegische Pose von Adam und Eva bei Josef Eberz und die hochdramatische "Tierlegende" (1912) von Marc, die sichtlich derangierten und verrohten Paradiesvertriebenen von Beckmann (1917) und Änne Kokens "Vertriebenenszene" (1918), bei der sich Adam und Eva unter der Waffe des Erzengels ducken, als würden sie einem Granatenbeschuss ausweichen. Der Krieg ist auch im Paradies allgegenwärtig.Höchste Drastik und thematisch raffinierte Durchdringung trifft auf naive Paradiesträume, die auch gerne in der Südsee spielen. Dass die Kuratorinnen auch noch ein Türchen zu Wenzel Hablik und damit zu Bruno Tauts kristallinen Architekturfantasien (Fritz Lang lässt grüßen) öffnen, ist ihnen ganz hoch anzurechnen.Die Suche nach dem Paradies endete für viele Maler mit dem Kriegstod. Macke fiel heute vor 100 Jahren, Weisgerber ein Jahr später, Marc traf es 1916, Morgner starb 1917 an der Front. Else Lasker-Schüler rief Franz Marc nach: "Der Blaue Reiter ist gefallen, ein Großbiblischer, an dem der Duft Edens hing."


GA, Artikel vom 26.09.2014