Erinnerung an einen Geiselmord[1]

23. August 1944 - 23. August 2004

bueck
Jean Bück

In den Morgenstunden des 23. August 1944, heute vor 60 Jahren, starben unter den Kugel eines Exekutionskommandos drei junge Luxemburger unweit der Uhlrather Ruine: Jean Bück, Marcel Charpantier und Camille Körner. „Dreifachen Mord“ nannte es Bürgermeister Rolf Krieger 1994.

Was war der Grund? In dem luxemburgischen Ort Junglinster war der Ortsgruppenleiter der nationalsozialistischen „Volksdeutschen Bewegung“ am 20. Juli 1944 von einem Deserteur erschossen worden. Zur Vergeltung ordnete SS-Führer Heinrich Himmler die Erschiessung von 10 völlig unbeteiligten Luxemburgern in deutschem Gewahrsam an, davon drei aus dem Zuchthaus Siegburg. Der Bankangestellte Jean Bück war am 26.11.1920 in Esch-sur-Alzette geboren, der Student Marcel Charpantier am 17.08.1924 in Rümelingen und der Friseur Camille Körner am 10.11.1924 in Differdingen; sie hatten sich - wie viele andere Luxemburger auch - geweigert, in die deutsche Wehrmacht einzutreten (sogenannte „Refraktäre“) oder waren desertiert. Der Trierer Gauleiter Simon hatte nämlich kurzerhand das Grossherzogtum Luxemburg zu deutschem Staatsgebiet erklärt; damit unterlagen die luxemburgischen Männer auch der deutschen Wehrpflicht. Bück, Charpantier und Körner gingen 1943 in den Untergrund. Alle drei wurden - unabhängig voneinander - im Frühsommer 1944 von den Deutschen gefangen, zum Tode verurteilt, dann aber zu langjährigen Zuchthausstrafen begnadigt und nach Siegburg in das damalige „Zuchthaus“ an der Luisenstrasse 90 verlegt.

Am 22. August 1944 wurden sie vom Kriegsgericht in Trier zur Erschiessung namentlich bestimmt und noch am Abend in Einzelzellen gebracht, ohne dass sie oder ihre Landsleute zunächst den Grund erfuhren. Auch der diensttuende Oberwachtmeister hörte erst gegen 21:30 Uhr, dass die drei erschossen werden sollten. Er erzählte dem luxemburgischen Gefangenen Josy Wengler, „der Anstaltsarzt Dr. Hohn habe soeben meine Kameraden aufgesucht und sie über ihren Gesundheitszustand befragt. „Nun wusste ich“, sagte Wengler 1984, „dass Todesurteile gefällt waren.“ Weil die SS nicht genügend Männer für das Erschiessungskommando am folgenden Morgen aufbringen kann (oder will), ordnet Staatsanwalt Dr. Schulz noch in der Nacht an, dass sechs Beamte der Wachmannschaft zur Hinrichtung antreten müssen.

Am Morgen des 23. August, kurz nach 7 Uhr, wird den drei jungen Männern mitgeteilt, dass die Begnadigungen aufgehoben worden sind und dass sie in zwei Stunden erschossen werden. Sie bekommen noch ein Frühstück aus belegten Butterbroten und dürfen Abschiedsbriefe schreiben. Der von Jean Bück ist erhalten und von Karl Schröder in seinem Artikel im Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises 1994 abgedruckt. Auszug: „Mein Leben auf der irdischen Welt hat ein Ende genommen, Gott nimmt mich hin zu sich, und ich hoffe, dort mehr Glück zu finden. Der Gefängnispfarrer Münster feiert mit den Dreien eine heilige Messe, und auf dem Flur flucht der Staatsanwalt: „Sind die Kerle noch nicht fertig?“ Zwei Gefängnisbeamte weigern sich, an der Erschiessung mitzuwirken; der zunächst vorgesehene Oberinspektor H. lehnt die Leitung des Kommandos ab. Einer der beteiligten Schützen sagte später aus, er habe in die Luft geschossen.

Die Luxemburger werden in Autos zum Uhlrather Hof gefahren und dort im Schiessstand gegen 9:30 Uhr erschossen; auf eigenen Wunsch werden ihnen nicht die Augen verbunden, und das Gefängnispersonal hat sie nicht gefesselt oder angebunden. Charpentier ist sofort tot, Jean Bück kann noch rufen „Jesus, meine Zuversicht!“, bevor er umsinkt. Am folgenden Tag werden die übrigen sieben Luxemburger in Lingen von der Wehrmacht erschossen. Auf dem Nordfriedhof wurden Bück, Charpantier und Körner in drei vom Zuchthaus bereitgestellten Särgen beigesetzt; den Angehörigen wurde vom Militärgericht in Trier verboten, Todesanzeigen oder Nachrufe zu veröffentlichen.

Die sterblichen Ueberreste der Ermordeten wurden 1946 in ihre Heimatorte überführt. Der grösste Teil der hiesigen Beamten hat diese Erschiessung nicht gebilligt, und viele waren sogar sehr darüber aufgebracht, schrieb Josy Wengler später. Pfarrer Münster, der den jungen Luxemburgern in den letzten Stunden beigestanden hatte, starb am 19. Februar 1945 an dem im Zuchthaus grassierenden Fleckfieber. Staatsanwalt Dr. Schulz wurde 1948 von einem interalliierten Militärgericht in Hamburg zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Haager Landkriegsordnung von 1907 legt in Artikel 50 fest: Keine Strafe in Geld oder anderer Art darf über eine ganze Bevölkerung wegen der Handlungen einzelner verhängt werden, für welche die Bevölkerung nicht als mitverantwortlich angesehen werden kann.

Es dauert dann 40 Jahre, bis die Stadt Siegburg - auf Drängen von Troisdorfer Jungsozialisten - eine Gedenktafel am Uhlrather Hof anbringt. An der Feier nehmen Angehörige der Erschossenen, Josy Wengler und andere Mitglieder der „Amicale des Anciens de Siegburg“, der luxemburgische Botschafter Adrien Meisch und Politiker aus Siegburg und Troisdorf teil.

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Ausschnitt aus dem Sterbebuch des Standesamtes Siegburg
(Urkunde Jean Bück): „Todesursache: Hinrichtung durch Erschiessen.“

luisenstrasse

Zwei Eintragungen im Eingangsbuch des Nordfriedhofs vom 23.8.44;
„Luisenstrasse 90“ ist die Anschrift des Zuchthauses.

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Gedenktafel der „Amicale auf dem Nordfriedhof:
„ A nos camarades morts pour la patrie“.

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Uhlrather Ruine mit der Gedenktafel. Gedenktafel (seit 1984).

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Gedenktafel

[1] Der Artikel erschien - leicht gekürzt und ohne Bilder - zuerst im General-Anzeiger Bonn, Ausgabe Siegburg, am 23.08.2004.

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