1862 C. T. Perthes1: »Politische Zustände und Personen in Deutschland zur Zeit der französischen Herrschaft. Das südliche und westliche Deutschland«, Auszug



(hier zur Geschichte Bonns und Kurkölns)

Die Reichsstadt Köln. 2

 

 
Die Anfänge der Geschichte Cölns verlieren sich in Sagen und Legenden, in Wurzeln, welche der absterbenden antiken Welt nicht weniger, als dem beginnenden Mittelalter angehören. In Cöln ward Vitellius zum römischen Kaiser ausgerufen und Trajan von seiner Erhebung auf den Thron benachrichtigt; in Cöln nahmen Constantin, Julian, Valentinian, wenn auch nur vorübergehenden, Aufenthalt. Während mächtige Bauwerke noch viele Jahrhunderte später einem neuen Geschlechte die Römergröße unmittelbar vor das Ange brachten, versinnlichten zugleich die Ueberlieferungen von dem Märtyrertode Sanct Gereons mit seiner Schaar und die Gebeine der elf Tausend Jungfrauen die erste Erscheinung des Christenthums unter den germanischen Stämmen. Clodwig, Pipin, Carl Martel wanderten einst auf dem Boden Cölns umher, und Carl des Großen mächtige Gestalt war oft den früheren Bewohnern desselben begegnet. Fast neun Jahrhunderte hatte Cöln bereits durchlebt, als deutsche Nation und deutsches Reich in der Geschichte auftraten und sich zugleich mit Lothringen auch Cöln 924 gewannen.

So lange eine weit zurückreichende Vergangenheit, so lange Muth, Kraft, ein frommer Sinn und opferbereites politisches Fühlen und Wollen, so lange Thaten und Schöpfungen, langlebige Geschlechter und bedeutende Männer noch als Zeichen und Wesen eines großen Lebens ihren Werth behalten, kann der Bürger Cölns mit Selbstbewußtsein und freudigem Stolze auf die Geschichte seiner Stadt zurücksehen. Mächtig trat Cöln zur Hohenstaufenzeit in dem mehrhundertjährigen <144> Kampfe hervor, welcher den Städten und dem städtischen Leben eine selbstständige Stellung neben dem Landesherrn und dem gutsherrlich ritterlichen Leben gewinnen sollte. Während der ganzen Dauer dieses Kampfes hatten die reichen und kriegerischen, nie unfrei gewesenen Geschlechter Cölns, welche ursprünglich allein die Gemeinde bildeten, alle städtischen Herrschaftsrechte inne. Den äußeren Feinden und den Handwerkern, Unfreien und Zugewanderten gegenüber hatten sich dieselben, wie Arnold nachweist, zu der Genossenschaft der Richerzechheit, d. h. Gilde der Reichen, die Bürgermeister an der Spitze, zusammengeschlossen. Die hervorragendsten Geschlechter der Richerzechheit bildeten innerhalb derselben eine besondere Genossenschaft: „Schöffenbruderschaft“ genannt. Aus dieser ergänzte sich nach eigener Wahl das Schöffencollegium, welches unter dem Vorsitze des Schöffenmeisters Gerichtsbarkeit und Verwaltung in wachsendem Umfange besaß; als Beirath oder Rath stand demselben schon seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts ein Ausschuß der gesamten Richerzechheit mit deren Bürgermeister zur Seite. Die städtische Obrigkeit, Schöffencollegium und Beirath, ging demnach nur aus den Geschlechtern hervor, und auch die Burrichter, welche den Kirchspielen, und die Innungsmeister, welche den Handwerkerbruderschaften vorstanden, gehörten stets den Geschlechtern an.

Die Aristokratie der Geschlechter war es, welche den Kampf um die Unabhängigkeit der Stadt mit den Erzbischöfen von Cöln durchzuführen hatte. Mächtige Persönlichkeiten, wie Erzbischof Bruno, der Bruder Kaisers Otto des Großen, wie Anno II., der zu Heinrich IV. Zeit durch das furchtbare Blutgericht eines einzigen Tages die Stadt auf Jahre verödete, erschienen als Streiter für die geistliche Landeshoheit, aber die Richerzeche konnte ihnen ebenbürtige Gegner entgegenstellen; die Geschlechter der Aducht, der Spiegel, Birkelin, Cleyngedank, Hirzelin, Wysen, Ulrepforten, Overstolz, Kornpforten, Gyr zeugten manchen muthigen und kraftvollen Mann. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts hatte die Stadt bereits eine Stellung gewonnen, welche die Erzbischöfe, wenn sie Einfluß und Rechte nicht völlig verlieren wollten, zu dem entschlossensten Auftreten nöthigte. Siebenunddreißig Jahre hindurch, von 1251 bis 1288, ward der entscheidende Kampf geführt, in welchem fürstliche Herrscherlust und städtischer Unabhängigkeitssinn, brennender Ehrgeiz und aufopfernde Hingebung gleich glänzend hervortraten.

Die einfache Erzählung der kühnen Thaten und listigen Anschläge, der harten Bedrängnisse und wunderbaren Rettungen jener Tage wird in des mitstreitenden Meister Godefrit Hagen <145> Reimchronik3 der Stadt Cöln, welche bis zum Jahre 1270 führt, wie von selbst zum Gedicht und lässt noch heute den Hörer nicht unbewegt. Drei Erzbischöfe traten nach einander auf: Conrad von Hochstetten 1238-1261, Engelbert von Falkenburg 1261-1274 und Siegfried von Westerburg 1276-1297; der Eine wie der Andere wußte, was er wollte, und kannte die erlaubten und unerlaubten Mittel, durch welche ein Mann seinen Willen durchzusetzen vermag. Zu Pferde in Harnisch und Helm führte Jeder der drei geistlichen Herren an vielen Tagen seine Ritter und Reisige in den Kampf gegen die Stadt; wenn Tapferkeit nicht zum Siege verhalf, galt auch Arglist als gute Waffe, reichte auch diese nicht aus, so griffen die Erzbischöfe zum Interdicte; den Lebenden ward Taufe, kirchliche Trauung und Abendmahl, den Sterbenden die letzte Oelung, den Todten das kirchliche Begräbniß verweigert; die Glocken wurden nicht geläutet, die Kirchen nicht geöffnet und die Priester aus der Stadt entfernt. Die Geschlechter aber ließen sich so wenig durch die geistlichen wie durch die weltlichen Waffen der Erzbischöfe beugen, obschon sie oftmals in große Bedrängniß geriethen. Während der ersten Jahre des Kampfes wiegelten die Erzbischöfe das sehr zahlreiche Wollenweberamt gegen die städtische Obrigkeit auf, verbündeten sich mit demselben, vertrieben die Geschlechter, setzten die Weber in das Schöffencollegium und in den Rath und beherrschten durch sie die Stadt. Bald aber wurden die Handwerkerbruderschaften des Weberregimentes müde, griffen zu den Waffen, riefen die Geschlechter zurück, besiegten die Weber und zugleich den Erzbischof. Während des nun folgenden zweiten Abschnittes des großen Kampfes erregten die Erzbischöfe mit arger Kunst Zwietracht unter den Geschlechtern selbst und suchten mit Hülfe der Wysen die Overstolz zu überwältigen und sich zu Herren der Stadt zu machen; die mächtigsten Geschlechter aber stellten sich auf Seiten der Overstolz; nach wiederholten blutigen Niederlagen mußten die Wysen fliehen und die Stadt war wiederum sicher gestellt gegen die Herrschaft der geistlichen Fürsten; Rudolf von Habsburg erkannte ihre Reichsunmittelbarkeit ausdrücklich an, und die Schlacht von Worringen am 5. Juni 1288 beseitigte für immer die Gefahr, unter das Priesterregiment zu gerathen.

Nach außen fast unabhängig, regierten nun die Geschlechter durch Schöffencollegium und Rath, aber aus dem Innern der Stadt erhob sich gegen ihre Herrschaft ein Feind, dessen Entschlossenheit und Stärke in raschem Zunehmen war. Schon 1259 hatten die Weber mit vorübergehendem Erfolg gegen die Geschlechter gekämpft, aber nur als <146> Werkzeuge des Erzbischofs und als Mittel für dessen Zwecke. Im 14. Jahrhundert rangen sie wiederum gegen die politische Alleinberechtigung ihrer mächtigen Gegner, aber jetzt auf eigenem Antriebe, mit eigenen Kräften und für eigene Zwecke; wiederum hatten sie vorübergehenden Erfolg; in der blutigen Weberschlacht aber wurden sie 1372 völlig besiegt und die Geschlechter behielten die Herrschaft, obschon sie neben dem kleinen Rath einen von den Handwerkern besetzten großen Rath hatten zugestehen müssen. Bis zur Zeit der Weberschlacht war der Kampf, welcher innerhalb der Ringmauern Cölns geführt ward, ein Kampf zwischen den Geschlechtern und den reichen Wollenwebern gewesen um die Herrschaft über die Stadt; je nachdem die Geschlechter oder die Reichen siegten, erhielt die Stadt einen anderen Herrn, aber niemals selbst einen Antheil an der Leitung der städtischen Angelegenheiten.

Seit dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts änderte sich jedoch die Natur des inneren Kampfes. Die Gemeinde oder die Bürgerschaft bestand thatsächlich schon lange nicht mehr nur aus den Geschlechtern, welche dieselbe ursprünglich gebildet hatten; Handel, Kunst, Wissenschaft und Reichthum war außerhalb wie innerhalb der Geschlechter zu finden; an Muth und Tapferkeit standen die Bruderschaften den Geschlechtern nicht nach; mit Stahlbogen oder Armbrust, den Morgenstern oder die Streitaxt in der Faust, setzten sie für ihre und der Stadt Freiheit und Ehre das Leben nicht minder freudig und entschlossen ein, als die Reiter in Harnisch und Helm. Die Geschlechter aber, obschon sie jetzt nur einen einzelnen Bestandtheil des städtischen Lebens ausmachten, versperrten dennoch Jedem, der ihnen nicht angehörte, den Zutritt zum Schöffencollegium und zum kleinen Rath und wollten dem großen Rathe weder Rechte noch Einfluß zugestehen; nicht die Reichen waren es, mit denen sie jetzt um die Herrschaftsrechte zu kämpfen hatten; die Gemeinde, die Bürgerschaft erhob sich und wollte künftig von keinem Dritten, weder von den Geschlechtern, noch von den Reichen regiert werden, sondern wollte sich selbst regieren. Die Geschlechter verkannten die Größe der sie bedrohenden Gefahr nicht und wollten sich lieber dem Erzbischof unterwerfen, als die Herrschaft über die Stadt verlieren. Eine Anzahl ihrer hervorragendsten Mitglieder, darunter edle Namen, wie Overstolz, Cusin, Scherffgin, Hardevust thaten in einer feierlichen Urkunde, dem Weisthum, gegeben zu Bonn am Donnerstag nach Sanct Kilianstag 1375, allen Leuten, die den Brief hören oder lesen würden, kund, daß der Erzbischof an seinem Gerichte, Herrlichkeit und Rechten zu Cöln in der Stadt <147> vielfältiglich verunrecht würde. Das Weisthum sprach dem Erzbischof alle Rechte zu, welche er bedurfte, um über Cöln die volle Landeshoheit, soweit sie sich damals in Deutschland ausgebildet hatte, üben zu können. Gestützt auf die mit solchen Mitteln erlangte Hülfe des geistlichen Herrn behaupteten die Geschlechter fast zwei Jahrzehnte hindurch die Herrschaft, aber ihre Stellung war doch unheilbar zerrüttet. Mit jedem Angriff, den sie erfahren, mit jedem Siege, den sie erfochten hatten, waren sie trotziger, hochfahrender, herrschsüchtiger und abgeschlossener geworden; die Bürgerschaft dagegen forderte immer ungestümer Antheil an der Herrschaft und vergab es den Geschlechtern nicht, daß dieselben die Unabhängigkeit der Stadt an den Erzbischof verrathen hatten. Im Jahre 1396 wurde der letzte entscheidende Kampf ausgefochten; die Geschlechter unterlagen; Bürgermeister, großer Rath, Aemter und Innungen traten zusammen, und sonderlich Gott unserm lieben Herrn zu Lob und um der Stadt Ehre und Freiheit zu behalten, das gemeine Beste zu besorgen, alle Zwist, Zweiung, Zorn, Haß und Neid zu verhüthen, und unter einander in Friede und Ruhe rästlich und ehrlich zu leben und zu regieren für ewige Tage, errichteten sie am heiligen Kreuzerhöhungstage des Jahres 1396 den Verbundbrief, auf welchem von jetzt an vier Jahrhunderte hindurch die Verfassung Cölns ruhte. Die Gemeinde hatte den vollständigsten Sieg davongetragen; Richerzeche und Schöffenbruderschaft lösten sich auf, die Geschlechter verloren jede politische Bedeutung; die neue städtische Obrigkeit, Rath und Gaffelfreunde, ging aus der gcsammten Bürgerschaft hervor, ähnlich wie in Zürich, Straßburg, Mainz und den anderen Städten, in denen das Zunftregiment durchgeführt ward.

Das kräftige, oftmals wild bewegte politische Leben Cölns hatte ein starkes, männliches Geschlecht von Bürgern groß gezogen; ihr kühner Sinn schreckte nicht leicht vor einem Unternehmen zurück, weil es Anstrengung und Ausdauer begehrte; Kämpfen und Wagen war ihnen eine Lust, und fast zur Gewohnheit war es ihnen geworden, Hab und Gut, Leib und Leben einzusetzen, wenn es galt, ein großes Ziel zu erreichen. Nach allen Seiten hin that sich das muthige, frische, geistig erregte Leben in bedeutenden Erscheinungen der verschiedensten Art kund.

Der Handel Cölns hatte schon seit dem 12. Jahrhundert europäische Bedeutung gewonnen und verband Griechenland, Ungarn und Italien mit den deutschen Nordseeküsten, mit Dänemark und England. Tuch, Wein, Kastanien, Nüsse vom Rhein brachten Cölnische Schiffe nach dem europäischen Norden und nahmen Holz, Theer, Felle, <148> Talg, Thran, schwedisches Kupfer und dänische Pferde mit sich zurück; in Brabant und Flandern bildeten Antwerpen und Brügge sehr lebhafte Marktplätze für sie, und selbst die Hamburger Flagge sah man am Beyenthurme wehen; auch in Venedig ward Cölnisches Gewicht gebraucht; in England hatte die Stadt schon seit 1203 sehr ausgedehnte Freiheiten, und bis zum fünfzehnten Jahrhundert stand ihr gemeinsam mit Lübeck die Leitung der Hansa zu; um die eigene Rhederei zu sichern, übte sie fremden Schiffen gegenüber das Stapelrecht in ausgedehntem Umfange und erhob von durchgehenden Waaren den Pfundzoll.

An Tüchtigkeit und Ausbildung des Handwerks wetteiferte Cöln mit Nürnberg und Augsburg; seine Wollenweber, Panzerschmiede, Goldarbeiter, Brauer genossen einen wohlverdienten guten Ruf. Die Malerschule Cölns, dessen Meister wohl ihre Werke, aber nicht ihren Namen auf die Nachwelt zu bringen verstanden, gaben der deutschen Kunst im 14. und 15. Jahrhundert einen neuen und eigenthümlichen Ausdruck; in Kirchen, Klöstern und den Häusern mancher alten und reichen Familie lebten Meister Wilhelms Veronica, Meister Stephans Dombild, lebten die Passion Christi, der Tod der Maria und andere bedeutende Gemälde fort. Der städtischen Steinmetzbruderschaft und der großen Bauhütte Cölns war keine andere gleich. St. Pantaleon, St. Severin, St. Ursula, St. Gereon, St. Maria im Capitol, St. Martin, St. Cäcilia, St. Aposteln waren lange schon eingeweiht, als am 14. August 1248 der Grundstein zum [neuen] Dom gelegt ward; an ihm bildete sich mitten in dem vielfach bewegten Leben der beiden folgenden Jahrhunderte der Sinn für die deutsche Baukunst heran, bewährte sich in den Bauwerken der Stadt, der Bürger und der Kirche und wirkte weit über die Mauern Cölns hinaus auf alle Gegenden Deutschlands ein; der Straßburger Münster, die Katharinen-Kirche zu Oppenheim, die Wernerskirche in Bacharach, der Dom zu Utrecht, der Thurm des Freiburger Münster und manche andere wurden unter der Leitung der am Dombau zu Cöln gebildeten Meister aufgeführt.

Auch in der Wissenschaft des Mittelalters nahm Cöln eine sehr hervorragende Stellung ein; Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Duns Scotus, Tauler hatten nach einander länger oder kürzer dort gelehrt; 1388 ward die Universität eingeweiht, und vor Allem ihre theologische Facultät war weit und breit als eine Säule der Scholastik berühmt, nahm noch am Anfang des 16. Jahrhunderts den Kampf <149> gegen Humanismus und Reformation rüstig auf und zog Tausende von jungen Leuten auf allen Theilen Deutschlands nach Cöln.

 

Von dem alten, großen Leben der Stadt war im achtzehnten Jahrhundert nur die Form geblieben, in welcher es sich einst bewegt hatte. Cöln im 17. und 18., und Cöln im 12., 13., 14. oder 15. Jahrhundert verhielten sich ähnlich zu einander, wie das deutsche Reich der Habsburger seit Rudolf II. und den beiden Ferdinand zu dem deutschen Reiche der Hohenstaufen. Der Handel der Stadt war zur Kramerei, die Malerschule zur Anstreicherzunft geworden und das Handwerk auf den Bedarf der Nachbarn beschränkt; nicht einmal vor Zerbröckeln durch Regen und Schnee verstanden die Baugewerke den Reichthum großer Denkmale vergangener Tage zu sichern. In allen Verhältnissen zeigte sich der geistige Tod. Vor der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, welche die erzbischöflichen Residenzen Mainz, Coblenz und Bonn in Unruhe setzte, hatte zwar die Reichsstadt sich geschützt, aber ihr Katholicismus war auf das Strengste in sich selbst abgeschlossen und daher verknöchert, wie überall, wo erregende Einflüsse von außen fehlten. Das Domkapitel, dessen Sitz in Cöln geblieben, trat mit seinen reichsfürstlichen und reichsgräflichen Domherren und Domicillaren, seinen Vicaren und Capellanen schon aus der in allen Bisthümern hergebrachten Opposition der Capitel gegen ihre Bischöfe den von Bonn ausgehenden Aufklärungsversuchen entgegen und hielt nur um so starrer an allen kirchlich hergebrachten Formen, Satzungen und Mißbräuchen fest. Der Clerus der Stadt stand, wie es scheint, auf seiner Seite und der Clerus bildete durch seine Zahl eine bedeutende Macht, denn die kirchlichen Anstalten, welche mittelalterliche Frömmigkeit einst gegründet hatte, waren ungeachtet der sehr verminderten Bevölkerung und des sehr veränderten Bedürfnisses derselben fast ausnahmslos erhalten worden. Der niederrheinisch-westphälische Kreiskalender zählt innerhalb der Ringmauern der Stadt Abteien, freiedle, hochadelige und hochgräfliche Stifte, etwa zwanzig Pfarrkirchen und beinahe eben so viele Kirchen der Carthäuser, Dominicaner, Minoriten, Maltheser, Carmeliter, Capuciner, Franziscaner und anderer Mönchsorden auf. Die Frauenklöster zu den Makabäern, zum St. Marien-Garten, zu den weißen Frauen, zu Groß-Nazareth, zu St. Magdalenen in der Buß und andere bestanden gewöhnlich aus einer „würdigen Mutter“, einer „Untermutter“, Küsterin und einer mehr oder minder großen Zahl von Nonnen.

Zweiundzwanzig Pfarrschulen, elf Stiftsschulen und eine Anzahl Privatschulen ertheilten den <150> Elementarunterricht; dreißig sogenannte Silentien sollten zum Eintritt in die Gymnasien vorbereiten. Von Priestern im Priesterkleid ward der Unterricht in den drei Gymnasien, dem Montanum, dem Laurentianum und Tricoronatum ertheilt; in jeder der fünf Classen, der rhetorica wie der infima, mußten die Schüler Rosenkranz und Gebetbuch stets bei sich führen; Fertigkeit im lateinischen Sprechen und in Wortgefechten war das Ziel, auf dessen Erreichung die meiste Zeit und Arbeit verwendet ward. Die Universität erschien eines Theiles als kirchliche Anstalt, deren Kanzler der jezeitige Domprobst war, welcher als päpstlicher Bevollmächtigter sämmtliche Docenten in Beziehung auf Lehre und Rechtgläubigkeit überwachte. Anderen Theils aber trat sie unter ihrem Rector fast wie eine reichsstädtische Zunft auf, hatte die vier älteren Bürgermeister zu Provisoren und Inspectoren und ließ nur selten einen Nichtcölner in ihre Mitte eindringen. Die theologische Facultät war während der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sehr stark mit Lehrern besetzt, die facultas artium dagegen nur sehr spärlich; die ihr angehörenden Studirenden besuchten daher regelmäßig die rhetorica eines der drei Gymnasien. In dem stolzen Gefühl, Cöln einstens vor der Reformation bewahrt zu haben, faßte die Universität den Kampf für ungeänderte Erhaltung des alte Kirchenthums auch in dessen erstarrtester Gewalt als ihre eigentliche Bestimmung auf, und schloß sich, Niederlagen fürchtend, gegen jede Berührung durch die geistige Bewegung des Jahrhunderts ängstlich ab. Mancher Versuch, sie zu beleben, ward namentlich unter Wallraff‘s Einfluß seit 1784 gemacht, aber ohne Erfolg. Wallraff ward als Freund des erzbischöflichen Hofes verdächtigt, und die Universität blieb auf ihrer handwerksmäßigen Bahn.

Neben der Universität und dem Clerus fanden sich in Cöln keine Kräfte von geistiger Bedeutung, und hätten sie sich gefunden, so wären sie nicht wirksam geworden, denn die Censur der Universität, der erzbischöfliche Official, der päpstliche Nuntius und ein Dominicaner Pater als Inquisitor haereticae pravitatis hatten genügende Mittel in der Hand, die Verbreitung geistiger Bewegungen zu verhindern.

Die Zahl der in Cöln wohnenden Protestanten war zwar nicht ganz klein, aber Keiner derselben durfte ein Haus besitzen, Keiner ein Amt bekleiden; weder eine Kirche, noch einen Betsaal erlaubte ihnen die Stadt; um ihren Gottesdienst zu halten, mußten sie bis Mülheim gehen oder auf einem im Rhein ankernden Schiff sich versammeln. Ein Breve des Papstes Clemens IX. hatte 1708 und 1709 den Rath der Stadt <151> ausdrücklich dafür belobt, daß er dem Frevel der Secte auch nicht einen versteckten Winkel gestattet habe, auf welchem sie ihren Irrthum gleich einer ansteckenden Pest zum Verderben der Seelen weiter verbreiten könne. Nur wenige deutsche Schriften wurden in Cöln verlegt, und diese wenigen waren meistens Andachtsbücher oder Leben der Heiligen; der Vertrieb auswärts herausgegebener Bücher war streng überwacht und sehr gering. Der Buchhandel konnte den abgestorbenen Zuständen so wenig neues Leben zuführen, wie die in Cöln erscheinenden Zeitungen, oder wie die französischen Schauspielertruppen, welche von Zeit zu Zeit in einer auf dem Heumarkte aufgeschlagenen Bude spielten. Cöln ist, heißt es in den Briefen eines reisenden Franzosen, in jedem Betracht die abscheulichste Stadt in Deutschland; die meisten Häuser drohen den Einsturz, ein großer Theil derselben steht ganz leer. Privilegirte Bettler machen einen Drittheil der Bevölkerung aus; vor jeder Kirche sitzen sie reihenweise auf Stühlen und folgen einander nach der Anciennität, stirbt der Vorderste ab, so rückt sein nächster Nachbar vor.

Nicht minder verkommen als Handel, Handwerk, Kunst und Wissenschaft war der politische Gesammtzustand Cölns. Nach dem auch im achtzehnten Jahrhundert in Kraft gebliebenen Verbundbrief von 1386, durch welchen das Zunftregiment eingeführt war, zerfiel die gesammte Bürgerschaft in zweiundzwanzig Gaffeln, unter denen das mächtige Wüllenamt die erste Stelle einnahm; neben ihm standen die Handwerkszünfte und die fünf Genossenschaften der Kaufleute: Eisenmarkt, Schwarzenhans, Windeck, Himmelreich und zum Ähren, welche, weil die Geschlechter sich ihnen 1396 angeschlossen hatten, den Namen Ritterzünfte führten. Das Wüllenamt wählte vier, jede der anderen Gaffeln einen oder zwei Rathsleute; die Gesammtheit der so gewählten sechsunddreißig „Zunftherren“ fügte sich dreizehn ehrbare, weise Leute unter dem Namen Gebrechsherren hinzu - und bildete mit diesen gemeinsam den aus neunundvierzig Mitgliedern bestehenden, ungeschiedenen und ungetheilten Rath. Weihnachten und Johanni jeden Jahres trat die Hälfte desselben aus und ward durch Neuwahl ersetzt. Jeder Gewählte mußte annehmen oder nach Art. 7 des Verbundbriefes ein Jahr lang unten in einem der Stadtthurn liegen, ohne daß einerlei Bitte für ihn geschehe. Der Rath wählte alljährlich kurz nach Johanni [=24. Juni] zwei Bürgermeister, die zwei zurücktretenden wurden im ersten Jahre Stimmmeister, im zweiten Rentmeister. Unter dem Vorsitze der beiden regierenden Bürgermeister führte der Rath die gesammte <152> Regierung der Stadt; er soll mögig und mächtig sein in allen Sachen; doch soll er keine Heerfahrt thun, kein Verbündniß mit Herren oder Städten eingehen, die Stadt mit keiner Rente beschwerden und zu keiner Ausgabe über 1000 Gulden auf einmal verpflichten, ohne mit Wissen und Willen der vierundvierziger Gaffelfreunde, das heißt eines Ausschusses der Bürgerschaft, welcher durch je zwei gewählte Mitglieder der zweiundzwanzig Zünfte gebildet wurde.

Auch innerhalb der neuen Verfassung hatte es zwischen dem Rathe und der Bürgerschaft nie an wechselseitiger Eifersucht und an Versuchen jedes der beiden Theile gefehlt, größere Rechte oder doch größere Macht zu gewinnen. Am Ende des 15. und am Anfänge des sechszehnten Jahrhunderts war es wiederum zum offenen Kampfe gekommen. Der Sieg der Gaffeln führte ein neues Uebereinkommen herbei, den Transfix von 1513. Wesentliche Aenderungen der Verfassung traf derselbe nicht, wohl aber eine Reihe ängstlicher Vorkehrungen, durch welche Verschlenderungen, Unterschleife, Willkür und Gewaltsamkeiten des Rathes verhindert werden sollten: da durch Mißbrauch des großen Siegels, heißt es z. B. in dem Art. 25, unsere Stadt merklich zurück und hinter sich gekommen ist, so soll von nun an unserer Stadt großes Siegel in einen Schrank gelegt und mit dreiundzwanzig Schlössern beschlossen werden, so daß jede Gaffel einen besonderen Schlüssel erhält. Größere Bedeutung indessen als die peinlichen Vorsichtsmaßregeln hatte für Erhaltung der Verfassung die durch das Herkommen näher ausgebildete Stellung der Bannerherren. Diese meistens auf den angesehensten Familien lebenslänglich gewählten Vorsteher der Zünfte hatten keinen Antheil an Verwaltung und Gesetzgebung, aber sie traten vierteljährlich zu dem Quartaltag zusammen und beriethen, ob Verbund und Transfix gehalten, Neuerungen geschehen, der Stadt Rechte und Privilegien gehandhabt, einige Bürger hülflos gelassen und das gemeine Gut recht versorgt sei. Fanden sie Verstöße gegen die verfassungsmäßige Ordnung, so waren sie verpflichtet, bei dem Rathe auf schleunige Abhülfe zu dringen. Nicht eines der alten Geschlechter hatte sich aus vergangener großer Zeit erhalten, selbst die Namen waren verschwunden; kein Birkelin, Overstolz, Scherffgin, Hardevust, von der Aducht, Wysen, Cleyngedank ward noch in Cöln genannt; denn sie verbannt, verjaget und verstorben sind, bemerkte schon 1399 die Chronica von der heiligen Stadt Cöln4. In der langen Reihe der Bürgermeister und Rathsleute seit dem Ende des 14. Jahrhunderts erschienen und verschwanden Namen in raschem <153> Wechsel. Patrizische Familien waren in Cöln nicht an die Stelle der Geschlechter getreten; zwar pflegten die Bürgermeister und ihre Nachkommen dem Namen das „von“ vorzusetzen und erhielten, wenn sie es wünschten, auch ohne Anstand den niederen Adel vom Kaiser, aber in keiner Beziehung ward hierdurch ihre Stellung in der Stadt verändert oder auch nur berührt.

Innerhalb der Verfassungsformen, welche Verbund- und Transfixbrief einst festgestellt hatten, schleppte die Stadt im achtzehnten Jahrhundert ein verkommenes politisches Dasein fort. Die vierundvierziger Gaffelfreunde hatten ihre alte stolze und starke Stellung verloren, vor Allem, weil bei Wahl derselben sich viele Zünfte lange schon nicht mehr durch die politische Bedeutung der Bewerber, sondern durch deren mehr oder minder große Geldspenden leiten ließen. Der Rath gestand den Gaffelfreunden selbst in den Sitzungen, zu welchen sie zu gezogen werden mußten, keine Theilnahme an der Berathung, sondern nur ein Ja oder Nein auf die ihnen vorgelegten Fragen zu. Gleichgültig ließ es die einst so eifersüchtige Bürgerschaft geschehen, daß auch die Besetzung der Rathsstellen nur noch dem Scheine nach von den Gaffeln, in Wahrheit aber vom Rathe ausging, welcher die Wahl durch Mittel jeder Art unbedingt beherrschte. Manche wurden aufgenommen, die des Wuchers und Betruges verdächtig waren, aber nur Wenige, welche nicht bereits in nahem Zusammenhange mit den Rathsfamilien standen und zugleich Geldmittel genug besaßen, um sich unter der Form von Gebühren die Stimmen zu erkaufen; im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts wagte der Rath schon zu behaupten: es sei ein verjährter Gebrauch, daß die abgehenden Rathsleute bei den halbjährigen Wahlen stets wieder gewählt würden. Unmittelbar gewährten die Rathsstellen nur sehr geringe Einkünfte, aber sie gaben politischen Einfluß und mancherlei Mittel, sich zu bereichern. Die Aemter nämlich der städtischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit waren fast ausnahmslos unter die Mitglieder des Raths vertheilt: Kriegscommissär, Weinmeister, Gewaltrichter, Amtsleute, Fischmarktsherr, Rathsrichter, Thürmeister, Payementsherren und viele Andere werden im niederrheinischen Staatskalender aufgezählt; der Gehalt, welcher mit allen diesen Aemtern verbunden war, bestand nach einer Angabe Ennen’s zwar nur aus etwa 9000 Thlr. und einer Anzahl Rathszeichen, das heißt kleiner runder Silberstücke mit der Umschrift: Bibite cum laetitia [Trinkt mit Frohsinn], welche in dem Rathskeller jeder Zeit als Anweisung auf eine Flasche Wein angenommen wurden; Gelegenheit aber, sich auch neben Gehalt und <154> Rathszeichen Einnahmen zu verschaffen, fehlte nur wenigen dieser Aemter, und ein Rathsmann vergab dem Anderen in städtischen Geldsachen auch das weiteste Gewissen. Als Collegium hielt der Rath Montags, Mittwochs und Freitags seine Sitzungen; die Rathsleute erschienen im Talar und schwarzen Barett, die Bürgermeister gleichfalls in schwarzem Talar, aber auf der Schulter den mit Pelz verbrämten Scharlachmantel, auf dem Kopfe den rundum in Falten gelegten sammtenen Hut und bei feierlichen Gelegenheiten den Stab in der Hand. Obschon der Rath nicht nur Stadtbehörde, sondern zugleich auch höchste Staatsregierung war, wurden in den Sitzungen desselben, wie die Protokolle nachweisen, dennoch auffallend selten bedeutende Angelegenheiten zur Sprache gebracht. Die Bürgermeister, vielleicht mit den Syndici und einigen vertrauten Rathsleuten, scheinen dieselben behandelt zu haben. Eine Menge geringfügiger Geschäfte dagegen, welche ohne Nachtheil von einem einzelnen Manne oder einer kleinern Schickung besorgt werden konnten, nahm Zeit und Kräfte des gesammten Rathes in Anspruch. So oft ein Schiff, statt umzuladen, bei Cöln vorbeizufahren begehrte, entschied der gesammte Rath, daß diese Ausnahme vom städtischen Stapelrecht gegen eine Abgabe zu gestatten sei; der ganze Rath verhandelte, wenn eine Collecte für Brandverunglückte oder eine Belohnung für die Nachtsgänger erbeten, wenn das Bürgerrecht begehrt oder Beschwerde über unartige und anzügliche Schreibart eines Zunftherrn gegen den andern geführt ward. Der gesammte Rath setzte sich in Bewegung, wenn Dieser oder Jener mit seiner Bittschrift ab und zur Geduld verwiesen, oder der Wittib Jungblut die Erlaubniß abgeschlagen werden sollte, mit Nägeln zu handeln, widrigenfalls dem Nagelschmidtsamt erlaubt sei, sich die vorfindenden Nägel mittels behörig zu ersuchenden gewaltigen Beistands hinwegzunehmen. Der ganze Rath faßte, als einige cölnische Soldaten Holz und Schaafe gestohlen hatten, den Beschluß: Der Eine solle dreißig Stockschläge ad posteriora [=auf das Gesäß] erhalten und an die K[aiserlich] K[önigliche] Werbung übergeben, der Andere gleichfalls dreißig Stockschläge ad posteriora erhalten, aber an die Königlich Preußische Werbung übergeben werden. Während der Rath Geringfügigkeiten dieser Art seine Aufmerksamkeit zuwendete, ließ er das ganze reichsstädtische Geldwesen in den jammervollsten Verfall gerathen. Seit langen Jahren schon waren die öffentlichen Gelder von den zur Verwaltung derselben verpflichteten Rathsherren in unverantwortlicher Weise verausgabt worden. Nicht allein Fahrlässigkeit, sondern auch Verwendung zum eigenen Vortheil gab <155> ihnen die allgemeine Stimme und nicht ohne gute Gründe Schuld. Rentmeister, Rentkammerassessoren und Rathsherren hätten sich eigenmächtig ihr Gehalt erhöht, behauptete man, und zu Gunsten ihrer Anhänger unnütze kleine Aemter neu gegründet oder mir Remunerationen bedacht; große Gastereien wären mit städtischem Gelde bezahlt und bedeutende Summen verschwunden, Niemand wisse, wohin; die Accise sei schlecht verwaltet und bei der Lotterie hätten sich sehr besondere Umstände ereignet. Während die Abgaben eigenmächtig erhöht seien, würden die öffentlichen Gebäude nicht in Stand erhalten und die Hospitäler und milden Stiftungen verwahrlost; die Schuldenlast der Stadt sei vergrößert und den städtischen Gläubigern lange schon die Zinszahlung nicht gewährt. Ungeachtet dieser und mancher ähnlichen Beschuldigungen wußte der Rath sich viele Jahre hindurch bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande der Rechnungsablage zu entziehen, und erinnerte sich nicht, daß in Städten wie in Staaten überall und zu allen Zeiten endlich auch die stumpfesten Massen in Gährung geriethen, wenn öffentliche Aemter, Ehren und Gelder Menschenalter hindurch als Mittel für die selbstsüchtigen Zwecke einiger wenigen Familien verwendet wurden. In Cöln gehörte überdies der Kampf zwischen Bürgerschaft und Rath so sehr zu den lieben Erinnerungen und althergebrachten Gewohnheiten der Stadt, daß eine Wiederaufnahme desselben selbst in den schläfrigen Zuständen der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts nicht als etwas Außerordentliches erschien.

Die Gaffeln wurden unruhig; Klagen und Beschwerden, welche lange schon in der Stille unter den Bürgern besprochen waren, riefen eine dumpfe Gährung hervor und wurden 1776 auf einigen Zunfthäusern als Mittel zu Aufwiegelungen benutzt. Lärmende Versammlungen in den Schenken, Zusammenrottungen vor dem Rathhause, massenhaftes Umherschwärmen auf den Straßen, Beschimpfungen der Bürgermeister und Rathsherren mehrten sich zwei Jahre hindurch von Monat zu Monat. Der Rath erlangte am 12. März 1776 ein Reichshofrathsconclusum, welches ihm strenge Erhaltung der Ordnung und scharfe Bestrafung der Rädelsführer, aber auch Abstellung der Mißbräuche, die er sich selbst habe zu Schulden kommen lassen, anbefahl. Auf Grund einer jetzt auch von Seiten der Bürger gegen den Rath eingereichten Beschwerde, ließ 1779 der Reichshofrath eine Deputation aus Abgeordneten aller Zünfte bilden, welche versuchen sollte, den Zwist in möglichst kurzer Zeit gütlich beizulegen; zugleich trat einige Monate später ein Syndicat oder Specialgericht, zur Untersuchung der streitigen <156> Rechtsfragen, in Thätigkeit. Zehn Jahre verhandelte die Deputation ohne Erfolg, dann 1789 erstattete sie dem Reichshofrath Bericht und fügte harte Anschuldigungen gegen den Rath hinzu.

Der Rath habe, behauptete sie, das Stadtwesen vernachlässigt, keine Obsicht auf das gemeine Wohl gehabt, die Stadt mit Schulden und unnöthigen Ausgaben, mit schlechten Commissarien und Officianten belästigt, und überhaupt seine Schritte zum Verderb der zum Untergang neigenden Stadt geleitet. Bei vormaligem Weintrunk habe sich hochdero Rentkammer dergestalt berauscht, daß sie weder die oftmaligen Diebstähle daselbst bemerkt, noch gesehen, daß denen Stadtwerkleuten allemal an ihren Conti zehn vom Hundert abgezogen und dem ungehindert hin und wieder der volle Betrag der Conti in Rechnungsausgab verführt zu werden pflegte. Die Kornkasse-Deputati hätten rechtswidrig Fruchthandel betrieben, die Branntweinbrenner betrogen und eine große Partie Wicken unter das Branntweinmehl vermischt, auch damit einen ungerechten Gewinn von vielen Tausend eingesäckelt und der Stadt eine große Theure verursacht. An das Zucht- und Arbeitshaus wären schlechte und Banquerotteurs zu Commissarien angeordnet worden, wodurch die Renten derer Hospitalien verschlungen und gemeldetes Zucht- und Arbeitshaus zu Grunde gerichtet wäre; die größten Unterschleife und Betrug des Stadtärarii hätten die Herren Commissarien der Kaufhäuser und die Rathsherren selbst betrieben.

Der Rath zeigte sich über diese Anschuldigungen auf das Aeußerste empört und in der Sitzung desselben vom 3. Juli 1789 wurde der Deputatschaft rückantwortlich zu bedenken befohlen: Deputatschaft habe nicht nur den ganzen Rath mit vielen Calumnien gekränkt, sondern auch schier alle einzelne Rathsherren, welche magistratische Officien bekleideten, bei dem allerhöchsten Reichsgerichte auf die ausschweifendste Art verschwärzet, ihnen Verschleißungen, Maleversationen und allerlei pflichtwidrige Thatsachen Schuld gegeben und die ganze Stadt als einen Ort der Verwüstung, als justiz-, ordnungs- und polizeilos mit zügellosen Strichen heruntergesetzt und abgewürdiget. Der Rath wolle daher auch keine weitere Vergleichsverhandlungen mit der Deputatschaft eingehen, bis er für die ihm zugefügten so wahrlosen als äußerst beleidigenden Beschimpfungen Genugthuung erhalten habe.

Die Deputation zeigte sich indessen zum Nachgeben wenig geneigt, und den Gaffeln bot sich eine sehr gute Gelegenheit dar, um unter dem Eindrücke der Ereignisse in Frankreich keck und herausfordernd aufzutreten. Im Jahre 1787 hatte nämlich der Rath den Protestanten <157> das Recht eingeräumt, sich ein stilles Bet-, Schul- und Pfarrhaus zu errichten; obschon die kaiserliche Bestätigung erfolgt war, nahm 1788 der Rath, geängstet durch die Gaffeln und im Geheimen bearbeitet von dem päpstlichen Nuncius Pacca, die ertheilte Genehmigung zurück. „So hatte ich also die Freude, schrieb höchst befriedigt der Nuncius, den akatholischen Cultus aus der Stadt ausgeschlossen zu sehen, obschon mich weder die guten Katholiken einen schwachen und feigen Menschen, noch die Protestanten einen unduldsamen Verfolger nennen konnten.“ In der Rathssitzung aber vom 8. Mai 1789 ward ein kaiserlicher Befehl vorn 27. März mitgetheilt, welcher in scharfen Worten befahl, die Protestanten in dem ihnen eingeräumten Recht ungestört zu lassen. Der Bürgermeister von Beiwegh, der Weinmeister Dumont, der Fiscalrichter v. Wittgenstein und einige andere Rathsherren wollten dem kaiserlichen Rescripte entsprechend handeln, die Mehrzahl aber beschloß, sich mit der Bitte um Aufhebung des Rescripts an den Kaiser zu wenden. Die Gaffeln machten ausdrücklich geltend, daß der Rath allein es sei, welcher durch die 1787 den Protestanten gewährte Erlaubniß diese Widerwärtigkeit über Cöln gebracht habe, und benutzten den beabsichtigten Bau des protestantischen Bethauses als ein Mittel, um die vielen Mönche und Weltgeistlichen, die Arbeiter und die Massen der Bettler für sich und gegen den Rath zu stimmen. Durch Drohungen und Tumulte wurden die Protestanten genöthigt, vorläufig auf die Ausübung des neu erlangten Rechtes zu verzichten. Kühn gemacht durch diesen ersten Sieg, legte eine Anzahl Bürger am 20. August 1789 der Deputation vier Puncte vor und verlangte, daß dieselbe den Rath binnen vierundzwanzig Stunden zur Annahme nöthige. Obgleich die vier Forderungen nur Durchführung des Verbund- und Transfix-Briefes, insbesondere Herstellung der freien Kür, d. h. der unbeengten Rathsherrnwahl durch die Gaffeln, begehrten, konnte der Rath sich dennoch nicht zur Bewilligung derselben entschließen und berief, um der eigenmächtigen Versammlung der Zünfte zuvorzukommen, dieselben zum 26. August auf ihre Zunfthäuser. Verbund und freie Kür war der Ruf, mit welchem überall die Sitzung eröffnet wurde. Am Nachmittage ward die Zustimmung des Rathes zu den vier Puncten, insbesondere die Herstellung der alten freien Herrenkür, bekannt gemacht; aus den meisten Zunfthäusern waren aber inzwischen fünfundzwanzig neue, von einem Unbekannten zuerst ausgestellte Forderungen verlesen und mit Beifall ausgenommen worden; die Zustimmung zu diesen durchgreifenden Aenderungen in der Verwaltung, Rechtspflege, <158> Steuerwesen und Polizei vom Rathe zu erlangen, ward jetzt das nächste Ziel; der Rath wußte noch nicht, daß dem Aufruhr gegenüber jede Nachgiebigkeit wie ein Zeichen ratloser Feigheit wirkt, den Uebermuth des Gegners steigert und zu immer neuen Forderungen treibt; unter den regierenden Bürgermeistern Gabriel de Groote und Joseph von Wittgenstein suchte er sich durch kleine Zugeständnisse zu helfen, suchte bald zu unterhandeln, bald zu widerstehen; am 21. September ermannte er sich zu dem Verbote aller verdächtigen Gesellschaften, sie mögen Namen haben, wie sie immer wollen, aber zugleich gestand er eine Forderung um die andere zu, verwilligte am 4. October, eingeschüchtert durch Drohungen und durch das Auftreten bewaffneter Volksmassen, sämmtliche fünfundzwanzig Puncte und gestattete den 1779 als Ruhestörer ausgewiesenen Bürgern die Rückkehr. Wilder Jubel herrschte in der Stadt; bald aber begannen auf den Zunfthäusern und in den Wirthsstuben die Aufwiegelungen von Neuem; ein Theil der städtischen Beamten trat zurück und ward durch Anhänger der Bewegung ersetzt; die Deputation stellte aus den vom Rathe schon bewilligten und einer Anzahl neuer Forderungen eine Art Verfassungsurkunde von einundvierzig Puncten zusammen und verlangte deren Annahme vom Rathe; der Rath aber, ermuthigt durch das Versprechen der niederrheinisch-westphälischen Kreisdirection, den Obrigkeiten gegen alles Zusammenlaufen und alle Unordnung Hülfe zu leisten, gab am 11. November einen abschläglichen Bescheid und am 25. December 1789 lief ein kaiserliches Patent ein, welches die Bewilligung der fünfundzwanzig Puncte, so wie die Zurückberufung der Verwiesenen für nichtig erklärte, das Syndikat aufhob, der Deputation jede weitere Handlung verbot und alle Versammlungen, Zusammenrottungen und ferneren Widerstand bei schwerer Geldbuße, Landesverweisung oder Leib- und Lebensstrafen untersagte. Der Rath, vertrauend auf die rheinisch-westphälischen Kreistruppen, überwältigte den ausbrechenden Tumult, führte das kaiserliche Patent im ganzen Umfange durch und hatte mit dem Ausgange des Jahres 1789 seine alte Herrschaft wieder gewonnen. Bürger und Gaffeln mußten sich ihm grollend fügen.

So stille war es äußerlich in Cöln wieder geworden, daß Ritter von Lang und Georg Forster, welche 1790 kurz nacheinander Cöln besuchten, nur den Eindruck gänzlicher Abgestorbenheit erhielten. Unter allen Städten am Rhein liegt, schrieb Forster, keine so üppig hingegossen, mit unzähligen Thürmen prangend, da, aber wie wenig stimmt das Innere dieser weitläufigen, aber halb entvölkerten Stadt mit dem <159> vielversprechenden Anblick von der Flußseite überein. Die Häuser eingefallen, schrieb Lang, ganze Straßen leer, der Dom von Haus auf unvollendet; hungernde, flehende Jammergestalten in abgenutzten Mänteln an den Thüren, und lauernde, schmutzige weibliche Gestalten. Dazu dann ein ewiges Schellen und Klingeln in den 365 Kirchen und ein Rennen zu den 11,000 Jungfrauen und den heiligen drei Königen.

Die Abgestorbenheit der Stadt trat jedem Besucher entgegen, aber das unruhige Wühlen inmitten der Bürgerschaft entging auch einem so scharfen Beobachter wie Forster, und dennoch hatte Cöln die Lehrjahre der Revolution hinter sich, bevor es noch von den Franzosen in Unterricht genommen war; den Meisten schien es gewiß, daß der Aufruhr ziemlich leicht jedes beliebige Zugeständniß von dem Rathe erlangen könne, das Zugeständnis aber keine längere Dauer als die Angst des Rathes, haben werde. Der dreizehnjährige, mit Klagschriften und Protesten bei dem Reichshofrath, mit Hülferuf und Beschwerden bei dem Kaiser, mit aufreizenden Flugschriften und fliegenden Blättern, mit Reden im Wirthshause und auf der Straße, mit Tumulten der Gaffeln und Gewaltmaßregeln des Raths geführte Kampf hatte die Stadt an Parteiwesen gewöhnt und gegenseitiges Mißtrauen und Erbitterung, Argwohn und Verdächtigung zur Regel des Lebens gemacht. Das dem Clubwesen verwandte Treiben, welches den Bürgern bereits vor der französischen Revolution bekannt geworden war, setzte sich im Geheimen auch nach dem Siege des Rathes fort und erhielt eine gereizte Stimmung in der Bevölkerung. An Mitteln, im geeigneten Augenblick sich kund zu thun, fehlte es derselben nicht. „Der Pöbel, schrieb Forster, der beinahe die Hälfte der Einwohner ausmacht, hat eine Energie, die nur einer besseren Lenkung bedürfte, um Cöln wieder in einiges Ansehen zu bringen, aber die zahlreichen Banden der Bettler, träge, unwissend und abergläubisch, sind ein Werkzeug in der Hand ihrer theils kurzsichtigen, sinnlichen, theils ränkevollen, herrschsüchtigen Führer; sie sind die Miliz der hier auf jeder Straße wimmelnden Geistlichen aller Orden, von welchen sie, am Seile des schwärzesten Aberglaubens geführt, durch kärglich gespendete Lebensmittel in Sold erhalten und gegen den Magistrat aufgewiegelt werden, sobald dieser den Ansichten jener zuwider handelt.“

Der Rath verkannte die Gefahr nicht, welche ihm auf solchen Zuständen erwachsen konnte, sobald ein Sieg der Revolutionstruppen Frankreichs den unruhigen Köpfen in Cöln Muth zum entschlossenen Auftreten machte. Aengstlich bemühte er sich, den Sinn für die <160> hergebrachte kirchliche und politische Ordnung zu stärken; ein strenger Befehl erging an alle Officianten, von Anfang bis zu Ende der Gottestracht beizuwohnen; jedem Professor, der sich anschließen werde, wurden zwei Rathszeichen, d. h. Anweisungen auf zwei Flaschen Wein aus dem städtischen Keller, versprochen; keine Wein- oder Bier-Schenke sollte nach zehn Uhr zapfen oder das Singen unanständiger politischer Lieder erlauben. Jede revolutionäre Regung ward strenge bestraft; Generalhaussuchungen fanden statt, weil die drückende Erfahrniß leider ein Zeuge davon ist, daß in hiesiger Reichsstadt von Zeit zu Zeit fremde Bettler und dienst- und herrenlos Gesindel sich aufhalte; Untersuchungen wegen verübter democratischer Excesse wurden angeordnet; das Gewaltgericht sollte an den Thoren scharf darauf sehen, daß kein fremd Gesindel sich einschleiche, und das Kriegscommissariat mußte die Musikanten zur Rede stellen, welche in einem öffentlichen Garten das patriotische Lied ça ira gesungen hatten.

Als die Verbündeten im Herbste 1792 gegen die Revolution in Frankreich den Kampf begannen, wünschte der Rath von Cöln ihnen ohne Zweifel den besten Erfolg, aber er wagte nicht, sie mit Geld oder Truppen zu unterstützen, und quälte sich ängstlich ab, seine Neutralität darzuthun, als nach dem Rückzuge der Verbündeten ein schnelles Vordringen des französischen Heeres gefürchtet ward. In der Sitzung vom 3. December 1792, zu welcher Rath und vierundvierziger Gaffelfreunde sich vereinigt hatten, wurde beschlossen, den Oesterreichern oder den Franzosen, je nachdem die Einen oder die Anderen sich früher näherten, eine Deputation entgegen zu schicken, welche die Unmöglichkeit, daß Cöln Einquartierung nehmen könne, darstellen und den Franzosen, wenn sie zuerst anlangten, die strengste Neutralität der Stadt zusichern sollte. Müsse man aber demungeachtet Truppen aufnehmen, so sollen alleinig die Stifte, Klöster und Zunfthäuser, und nur im Nothfalle die bürgerlichen und unbürgerlichen Häuser, belegt werden. Die Oesterreicher rückten ein und verlangten Geschützkugeln aus dem städtischen Zeughaus und Holz zum Bau einer Schiffbrücke; am 16. December traten Rath und Gaffelfreunde zusammen; auf das Strengste, meinten sie, müsse die Stadt bei der Neutralität beharren und dürfe daher den Oesterreichern freiwillig keine Kugeln geben, sondern müsse Gewalt abwarten. Unter Protest des Rathes hatte der K. K. Obrist von Kirchberg bereits am 12. December eine stehende Brücke geschlagen; am 24. December ward das Zeughaus von österreichischen Truppen besetzt, im Januar 1793 wurden sämmtliche <161> Kanonen der Stadt verlangt, am 6. Februar die Wachen an den sechs Stadtthoren von K. K. Soldaten bezogen. Nach der Schlacht von Aldenhoven, 1. März 1793, wurde die ganze Stadt mit Kranken und Verwundeten überfüllt, obschon der Rath bereits am 5. December erklärt hatte, jedem neuen Zuzuge die Thore versperren zu lassen; nach der Schlacht von Neerwinden, 18. März 1793, führten die Oesterreicher Alles, was ihnen brauchbar war, aus dem städtischen Arsenal fort, legten Magazine an und ließen, um auch nach ihrem Abmarsche der Stadt sicher zu sein, ein kurtrierisches Bataillon einrücken, während die reichstädtischen Soldaten, die sogenannten Funken, sich den österreichischen Truppen anschließen mußten.

In Cöln ward in Folge aller dieser Vorgänge die Erbitterung sehr groß. Weiber und Kinder der fortgeführten Stadtsoldaten jammerten laut; jeder Krämer und Handwerker zürnte über die Kriegs-, Gewinns- und Gewerbe-Steuer, welche der Rath hatte auflegen müssen; es gab kein Haus, in welchem nicht Unmuth über die Einquartierung und Furcht vor Verbreitung ansteckender Krankheiten durch Anhäufung der Verwundeten gewesen wäre. Alle Noth schien ein Ende nehmen zu müssen, wenn die Franzosen, welche auf der Ferne schon die lockendsten Verheißungen gaben, in der Stadt erschienen. Nur der Rath fürchtete von den Republikanern für seine althergebrachte Stellung und blieb franzosenfeindlich, so aufgebracht er auch über das Verfahren der Oesterreicher war, aber auch jetzt zeigte er sich muthlos und ohnmächtig. Die Mißvergnügten und Unzufriedenen kamen heimlich wieder in Clubs zusammen und traten, seitdem im Frühsommer 1794 die französischen Waffen siegreich in den österreichischen Niederlanden waren, offen und rücksichtslos auf; die Horden der Bettler und Umhertreiber, welche bisher den Geistlichen gefolgt waren, fielen nun anderen Führern zu; hier und da ward schon eine Jacobinermütze aufgesetzt oder ein schnell herbeigeschaffter und schnell wieder fortgeschaffter kleiner Freiheitsbaum umtanzt; ungestraft ward in Schenken und auf Straßen Obrigkeit und Kirche mit frechen Worten verhöhnt; selbst in den Klöstern der Nonnen wie der Mönche regten sich immer ungescheuter die Gelüste der Ungebundenheit und offenbarten, wie niedrige Elemente in den meisten derselben verborgen gewesen waren. Der Rath ließ zwar Vorkehrungen wider allerlei Unfug, unordentliches Betragen und verbotwidrige Vergaderungen treffen, aber ohne Erfolg. „Da ein hochedel-hochweiser Rath auf hiesigen Zeitungsblättern mißfälligst ersehen, heißt es in einem Beschlusse vom 15. Juni 1794, daß dieselben, ohnerachtet <162> mehrmaliger obrigkeitlicher Warnungen, über die Grenzen der einem Zeitungsschreiber blos zustehenden Geschichtserzählnngcn mit allerlei unpassenden und anzüglichen Zusätzen, Vernünftelungen und Ausschweifungen hinausgehen, so werden sämmtliche Zeitungsschreiber, sich dessen gänzlich zu enthalten, bei willkürlicher Strafe erinnert. Zuchtknechte sollten die mit Getöse spielenden Knaben auseinander treiben; die Knaben jedoch widersetzten sich regelmäßig und wurden von den Eltern unterstützt, so daß der Rath beschließen mußte, den Zuchtknechten für die Zukunft militärischen Beistand gegen die Kinder zu verwilligen.

Mit dem Ende des Sommers 1794 füllte sich, als die Franzosen auf das Neue in den Niederlanden gesiegt hatten, die Stadt mit Flüchtlingen auf Brabant; in dichten Schaaren sah man oftmals die Emigranten an dem Hahnenthore hereinziehen. Ihr Aussehen, ihre Erzählungen von dem, was sie gesehen und erfahren, riefen überall in der Bevölkerung unruhige Spannung hervor, machten die Einen schüchtern und die Anderen keck. Die Domcapitulare, die Stiftsherren, die Aebte trafen Vorkehrungen zur Flucht; schon jetzt wurde manches silberne und goldene Geräth der Kirchen und Klöster eingeschmolzen, manche Kostbarkeit an Trödler verkauft und in der zweiten Hälfte des September auch der Domschatz in Sicherheit gebracht. Fast täglich hielt der Rath jetzt gemeinsame Sitzungen mit den Vierundvierziger Gaffelfreunden. Am 13. September wurde, um die unabweislichen Ausgaben bestreiten zu können, die Aufnahme eines Capitals von hunderttausend Thalern beschlossen, zu dessen Rückzahlung der hundertste Pfennig, die Kriegs-, Gewinns- und Gewerbsteuer und der Erlös aus dem baldigen Verkauf des entbehrlichen schweren Geschützes dienen sollte. Am 27. September wurde, wie das Rathsprotokoll berichtet, für nöthig erachtet, daß, wenn die französische Armee sich nähere, eine Deputation an die französische Generalität mit der Erklärung zu schicken sei, die Stadt empfehle sich ihrem Schutze; in derselben sei zwar eine bewaffnete Bürgerschaft, so wie Stadtsoldaten, Erstere aber wäre blos zu dem Ende, damit Ruhe und Sicherheit beibehalten würde, und letztere seien zur Haltung guter Polizei und damit die Staatseinkünfte sicher eingingen. Erstere würde nach Eintritt der Franzosen gleich auseinander gehen, und wie es mit Letzteren zu halten sei, hierüber würde der Befehl erwartet.

Nachdem die Oesterreicher am 5. October 1794 bei Mülheim auf das rechte Rheinufer zurückgegangen waren, erschienen am 6. October die französischen Truppen unter Befehl des Divisionsgenerals <163> Championnet vor Cöln. Von einer auf dem Bürgermeister von Klespé, dem Syndikus v. Bianco, dem Assessor Dumont, dem Banierherrn Ludwigs und Herrn Dolleschall gebildeten Deputation in Müngersdorf empfangen, zogen sie um zwei Uhr in die Stadt ein und erregten, wie Boisserée als Augenzeuge erzählt, zunächst doch große Bestürzung durch ihr sanskülottisches Aussehen; auch hier trugen sie Fleisch, Brod, Kohl auf den Bajonetten, hatten oft hölzerne Schuhe an den Füßen und Tapeten und Teppiche statt der Mäntel umgehängt; Freiheit, Gleichheit, keine Abgaben, keine Herren mehr, war auch in Cöln ihr Ruf. Zweihunderttausend Brode, jedes zu drei Pfund, hatten zwar die Cölner als erste Gabe den neuen Brüdern binnen zweimal vierundzwanzig Stunden zu liefern, aber dafür wurde auch bereits am 9. Oktober auf dem Neumarkte der Freiheitsbaum mit großer Feierlichkeit errichtet. Rath und Gaffelfreunde hatten Einladungen zur Theilnahme erhalten, und weil dem Stadtkommandanten kein Widerstand zu machen sei, die angeborene Höflichkeit angenommen. Französische Generale, Officiere und Soldaten hielten vereinigt mit allen städtischen Behörden und vielen Bürgern einen prunkvollen Umzug; das vive la république ertönte unter rauschender Musik; Tanz und Lustbarkeit beschlossen den Tag.

Die Bestürzung, welche durch den ersten Anblick der wilden Horden hervorgerufen war, verschwand bald. Die Noth trieb, erzählt Boisserée, die Menschen zusammen, und als sie sahen, daß das Leben doch seinen Gang ging, machten sie sich dasselbe so lustig, wie möglich. So verschwand der harte Winter schneller, als man gedacht hatte. Zugleich aber gelangten unter dem Schutze der Sieger jetzt die revolutionären Elemente schnell zur Herrschaft und gaben vor Allem den Clubs eine festere Gestalt. Einige wenige verwegene, ehrgeizige Führer standen als Moderator, Secretär und Schatzmeister an der Spitze; um den Arbeitern die Theilnahme möglich zu machen, hielten sie die Versammlungen spät Abends und Sonntags Nachmittags; neben manchen Gesellen und Meistern fanden sich Bediente und Knechte, Fuhrleute, Lastträger und Umhertreiber aller Art in Menge ein; wilde Reden, verrückte Vorschläge, giftige Angriffe auf Rath und Geistlichkeit erhitzten die Masse und verbreiteten den wildesten Republikanismus in den untern Schichten der Bevölkerung. Der ausgetretene Franziskaner Geich, der Schwarzenbroicher Mönch Biergans, der Advocat Sommer nahmen die hervorragendste Stellung ein, aber noch manche Andere schlossen sich ihnen als sogenannte Volksredner an: die vielen Klöster spieen <164> ihre verworfensten Elemente aus und gerade diese traten Religion und Sittlichkeit am Schamlosesten mit Füßen. Viele der damals erschienenen Schriften und Blätter verschonten auch das Ehrwürdigste nicht, aber alle wurden an Schutz und frecher Gemeinheit durch die von Biergans herausgegebene Decadenschrift „Brutus“ übertroffen.

Die Franzosen hatten ihrerseits unmittelbar nach dem Einmarsche die geordneten Plünderungen begonnen; auch in Cöln fingen sie bescheiden mit Forderungen von Burgunder, Hochheimer und Branntwein an, dehnten aber sehr bald ihre schonungslose Habgier auf Gegenstände jeder Art, selbst auf Bilder, Bücher, Handschriften aus, mochten dieselben der Stadt oder einzelnen Bürgern gehören. Der gesammten Polizei hatten sich die Generale sogleich bemächtigt; alle nicht revolutionären Schriften unterlagen der strengsten Censur, und um die Feinde der Republik anzuzeigen, war schon am 15. November 1794 ein comité de surveillance aus acht Cölnern und vier Franzosen errichtet. Um dieselbe Zeit war die alte Reichsstadt unter die auf früheren kurfürstlichen Beamten gebildete Bonner Bezirksverwaltung gestellt und dadurch tief in ihrem reichsunmittelbaren Selbstgefühl gekränkt worden. Erbittert klagte sie, bei Vertheilung der Contributionen absichtlich von den vielhundertjährigen Gegnern überschwert zu werden, und ärgerte sich an der hochmüthigen Freude, mit welcher, wie sie voraussetzte, die Bonner Verwaltung im August 1795 den Auftrag übernahm, das bisher in höchst bedenklichem Dunkel gehaltene Rechnungswesen des Raths zu untersuchen. Dieser Untersuchung ward der Rath zwar durch die Aachener Centralverwaltung wieder enthoben, im Uebrigen aber fand er bei den französischen Machthabern wenig Gunst und ward von den Clubs ungestraft verlacht und verhöhnt.

Seine obrigkeitliche Stellung war lange schon nur noch ein Schein gewesen, als er im Frühjahr 1796 zugleich mit den Magistraten der anderen Städte aufgehoben und durch eine aus sieben Mitgliedern bestehende Municipalität ersetzt ward. Das Rathsprotokoll vom 28. Mai, mit welchem, um den Anfang einer neuen Zeit auch äußerlich bemerkbar zu machen, ein neues Protokollbuch begann, trägt in großen Buchstaben die Ueberschrift: „Installation der Municipalverwaltung. Cöln den 9ten Prairial 4ten Jahres, 28sten Mai 1796 post prandium. Im Beisein des Präsidenten von Wittgenstein, des Nationalcommissärs Antoine, der Municipalen Weyer, Kramer, Erven, v. Kempis, v. Monschau.“ Aus dem alten Rathssaale, wo auch die neue Behörde ihre Sitzungen hielt, wurden die beiden großen Gemälde, Kreuzigung und jüngstes <165> Gericht darstellend, entfernt und statt ihrer die Büsten von Rousseau und Voltaire neben einer schwarzen Tafel mit der Inschrift: „Les droits de l’homme“ aufgerichtet. Den Berathungen wohnte, da der Zutritt Jedem frei stand, meistens eine tobende Masse aus den untersten Schichten der Bevölkerung bei.

Als auf Befehl des Generals Hoche die alten Obrigkeiten des linken Rheinufers unter französischer Oberleitung wieder hergestellt wurden, erhielt am 21. März 1797 auch Cöln seinen Rath wieder. Zur Ueberwachung der öffentlichen Ordnung, der gesammten Verwaltung und Rechtspflege ward ihm aber von Hoche einige Monate später Rethel als französischer Commissär beigegeben. Am 12. Juli führte sich derselbe in die Rathsversammlung ein und begann seine Antrittsrede, deren wörtliche Aufnahme in das Protokoll er ausdrücklich verlangte, mit den Worten: „Als Stellvertreter der fränkischen Regierung, die nach Grundsätzen gebietet und Gehorsam fordert, wäre ich jeder weiteren Erklärung über meine persönliche Gegenwart in dieser Rathsversammlung enthoben, weil jede Einwendung als unstatthaft wegfällt; allein ich folge der Stimme des Freundschaftsgefühls, das ich so gerne mit den Pflichten meines Amtes vermische, und bequeme mich zu einigen Erklärungen.“ Rethel nahm den Ehrenplatz zwischen beiden Bürgermeistern für sich in Anspruch und suchte vom Tage seiner Einführung an, sich thatsächlich der alleinigen Gewalt über die Stadt zu bemächtigen.

 

Literaturverzeichnis

Gärtner, K. (Hrsg.). (2008). Hagen, Gottfried. Reimchronik der Stadt Köln. Düsseldorf: Droste.

Hagen, G. (1834). Reimchronik der Stadt Köln aus dem 13. Jahrhundert. (von Groote, E., Hrsg.) Köln: DuMont-Schauberg.

Hist. Kommission kgl. Academie Wissenschaften (Hrsg.). (1876). Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert: Köln (Bd. 13). Leipzig: Hirzel.

Perthes, C. T. (1862). Politische Zustände und Personen in Deutschland zur Zeit der französischen Herrschaft: Das südliche und westliche Deutschland, 2. Aufl. Gotha: Perthes.

 

 

1 Clemens Theodor Perthes (* 2. März 1809 in Hamburg; † 25. November 1867 in Bonn) war ein deutscher Rechtswissenschaftler und einer der Gründer der Inneren Mission.

2 Fundstelle: (Perthes, 1862, S. 143 ff); http://www.archive.org/details/politischezust01pert .

3 Die Reimchronik der Stadt Köln ist ein zentrales Werk der Kölner Literaturgeschichte. Gottfried Hagen schrieb „dat Boich van der stede Coelne“ im Jahr 1270: (Hagen, 1834) und neuerdings (Gärtner, 2008) – nicht zu verwechseln mit der lateinischen Reimchronik von 1472: (Hist. Kommission kgl. Academie Wissenschaften, 1876, S. 203 ff).

4 Eine „Cronica van Collen“, die bis 1399 reicht, veröffentlicht Ennen 1871 in den AHVN, S. 46 ff.